Die ungarische LGBTIQ* Community unter Premier Orbán
Hintergrundmaterialien
Text: Rainer Bartel
Stand: 23. April 2025
Ungarn hat eine relativ lange Geschichte autoritärer, scheinbar demokratischer und illiberal-demokratischer Regime auf (das nazifreundliche Horthy-Regime und die faschistischen Pfeilkreuzler in der Zwischenkriegszeit und im Zweiten Weltkrieg, der Sowjetkommunismus während des Kalten Kriegs, die zunehmend illiberale Partei Fidesz ab 2010); siehe dazu den historischen Anhang.
Offenheit im Sinn von Meinungsfreiheit, demokratischer Kontrolle, Multilateralismus (internationaler demokratischer Koordination) sowie gesellschaftlichem Wandel und Fortschritt sind die Opfer. So geriet die Gesellschaft in persönliche Unfreiheit, und speziell auch die Menschen der LGBTIQ* Community gelangten ins Visier illiberaler politischer Regime.
2020/2021 erste Vorstöße von Orbáns Fidesz gegen LGBTIQ*s
2020 verabschiedeten die Fidesz-MPSZ und ihre Juniorpartnerin in der Koalition, der gemäßigt konservativen KDNP, ein Gesetz, das es verunmöglichte, nach einer erfolgten Geschlechtsanpassung (das biologische Geschlecht wird dem empfundenen angepasst) die Dokumente auf das aktuelle Geschlecht umändern zu lassen.
Zudem wurden 2020/2021 Rechtsnormen verabschiedet, die eine Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare ausschließen.
Mitte des Jahrs 2021 tat Premier Viktor Orbáns Partei Fidesz-MPSZ, seit 2010 tonangebend in der ungarischen Politik, in einer Gesetzesvorlage kund, was sie mit homosexuellen und transidenten Personen vorhat (derStandard.at, 11.6.2021):
- Informationsprogramme, die in Schulen für einen respektvollen Umgang mit homosexuellen und transidenten Personen sensibilisieren, sollen verboten werden.
- Bücher, Filme und andere „Inhalte“ für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, in denen Sexualität thematisiert wird und
- auf andere Sexualitäten als die heterosexuellen und cisidenten (d.h. nicht transidenten) oder
- auf geschlechtsanpassende Möglichkeiten (hormonelle und chirurgische Therapien) hinweisen,
sollen verboten werden.
- Jede Information („Werbung“), die Homosexualität oder Transidentität als Normalitäten darstellt, soll verboten werden.
- Das „Recht der Kinder auf ihre bei der Geburt empfangene geschlechtliche Identität“ soll gewahrt werden.
Kritik aus In- und Ausland
Die Gefahr dieses politischen Unterfangens wurde rasch erkannt (vgl. derStandard.at, 11.6., 14.6., 18.6., 23.6., 25.6., 24.7.2021).
Ungarische Menschenrechtsaktivist*innen kritisierten diesen Gesetzesentwurf als „Zensur nach russischem Vorbild“. Amnesty International und andere Menschenrechtsorganisationen übten gemeinsam Kritik; die seelische Gesundheit von Jugendlichen aus der LGBT Community sei gefährdet, zumal sie nicht rechtzeitig an für sie relevante, seelischen Schaden verhindernde Informationen gelangen könnten.
In Österreich meldeten sich Grüne und Neos kritisch zu Wort. Die Menschenrechtssprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, schrieb dazu:
„Diese Nachricht macht einen fassungslos. Die Regierungspartei eines Mitgliedstaats der Europäischen Union schlägt ein Diskriminierungskapitel auf, das an die dunkelsten Zeiten unserer Geschichte erinnert und im absoluten Widerspruch zu den Grundwerten unserer Gemeinschaft steht.“
Für die Neos äußerte Nationalratsabgeordneter Yannik Shetty Kritik:
„Jener Angriff ist beispielhaft für den voranschreitenden Abbau der Rechte der LGBTIQ-Community in Ungarn – einem Land, zu dem die österreichische Bundesregierung, allen voran Bundeskanzler Kurz, ein kritikloses Näheverhältnis pflegt. Was Orbán hier plant, grenzt an Zensur und katapultiert Ungarn zurück ins Mittelalter. So eine Haltung hat in Europa keinen Millimeter Platz.“
Und Shetty forderte auch die Bundesregierung auf, diesen Rückschlag aufs Schärfste zu verurteilen. Die österreichische Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) wollte die von 14 EU-Mitgliedstaaten vorgebrachte Protestresolution zunächst nicht unterstützen – Österreich fehlte als einziges westeuropäisches Land. Doch als EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (EVP) über das ungarische Gesetz von einer „Schande“ gesprochen hatte und die Kritik an der Weigerung Edtstadlers zunahm, stimmte diese für Österreich nachträglich (wie Italien und Griechenland) doch noch zu. Der Druck des grünen Koalitionspartners führten zugegebenermaßen dazu sowie wohl die peinlich schiefe Optik einer uneinheitlichen Reaktion in der Wertegemeinschaft EU.
Mark Rutte, die niederländische Premier, forderte auf dem folgenden EU-Gipfel Orbán auf, für Ungarn wegen des Wertekonflikts das Austrittsformular aus der EU auszufüllen, denn „Diesmal geht es zu weit“. Er forderte den „Respekt vor Menschenrechten“ ein; diese seien „nicht verhandelbar“.
Der offen schwule, verheiratete luxemburgische Premierminister Xavier Bettel beschied Orbán:
„Du hast eine rote Linie überschritten. Es geht um Grundrechte, das Recht jedes Menschen, anders zu sein. (…) Das ist nicht das Europa, in dem ich leben möchte.“
Nur Polen und Slowenien ergriffen für Orbán Partei. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sprang Bettel allerdings bei:
„Wir haben uns klar zu Wort gemeldet. Wir sind der Meinung, dass das Vorgehen Ungarns eine Grenzüberschreitung ist. Und die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat unsere volle Unterstützung. Sie hat angekündigt, in eine Konsultation mit Ungarn einzutreten, und auch zu prüfen, welche rechtlichen Schritte sie setzen kann.“
EU-Ratspräsident Charles Michel (EVP) brachte den Staats- und Regierungschefs in Erinnerung, „dass Werte wie Freiheit, Toleranz und menschliche Würde im Zentrum der Europäischen Union stehen“. 17 von ihnen, auch Kurz, unterzeichneten ein Protestschreiben, in dem es hieß:
„Respekt und Toleranz sind das Herzstück des europäischen Projekts. (…) Wir sind entschlossen, diese Anstrengungen fortzuführen und dafür zu sorgen, dass die künftigen Generationen Europas in einem von Gleichberechtigung und Respekt geprägten Umfeld aufwachsen.“
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte ein entschlossenes Vorgehen der EU-Kommission – der Hüterin der EU-Verträge – an. Die EU hatte 2020 einen so genannten Rechtsstaatlichkeitsmechanismus eingeführt hat, der Kürzungen von EU-Mitteln erlaubt, wenn ein Staat die Grundrechte und Werte der EU verletzt.
“Meistens überzeugt Geld mehr als Sprache”, sagte der belgische Premier Bettel, der eine solche Sanktion gegen Ungarn befürwortete.
Auf einer anderen Ebene, im österreichischen Nationalrat, kam es zu einer nur „schwammigen“ Protestresolution (sogar ohne die Nennung Ungarns), um eine Mehrheit dafür überhaupt zustande zu bringen, was Shetty (Neos) scharf kritisierte.
Selbst unter den relativ schwierigen staatspolitischen Verhältnissen in Ungarn demonstrierten nach einer Schreckphase schon bald Tausende vor dem Budapester Parlament gegen die Einschränkung von Rechten und Schutz von homosexuellen und transsexuellen Jugendlichen. Aufgerufen zu diesen Protesten hat unter anderem Budapest Pride. Die Psychologin Julianna Lászlóffy sagte in ihrem Redebeitrag auf der Demo:
„In einer Gesellschaft, die ausgrenzt, sind LGBTIQ-Jugendliche zahllosen Diskriminierungen ausgesetzt.“
Sie meinte auch, das Gesetz spiele mit dem Leben der Jugendlichen, da in diesen Altersgruppen Depressionen und Selbstmorde von LGBGTIQ*-Menschen überrepräsentiert seien. Premierminister und Parteichef Viktor Orbán wird demgemäß vorgeworfen, immer wieder politisches Kapital aus dem Schüren von Hass und Vorurteilen gegen Minderheiten zu schlagen.
Den Aspekt der Beschränkung der Rede- und Bildungsfreiheit unterstrich auch die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatović, in ihrer Medienaussendung und stellte fest, dass das ungarische Gesetz den europäischen und internationalen Menschenrechtsbestimmungen widerspräche.
Zirka 130.000 Menschen unterzeichneten eine Protestresolution. Die Abgeordneten wurden aufgefordert, den “ausgrenzenden und hassschürenden Gesetzesentwurf” nicht zu unterstützen, weil dieser „Kinderrechte und Redefreiheit mit Füßen tritt“. Damit sollten letztlich LGBTIQ*s aus dem öffentlichen Bild verbannt werden.
Wirkungsschwache Kritik? Harte Wirklichkeit
In einem illiberalen System ziehen liberale Gesellschaftsmerkmale kurz- bis mittelfristig den Kürzeren. Die massive Kritik führt zwar rasch zu Abänderungen des Entwurfs, aber die Hauptwirkung der Gesetzesvorlage blieb durch den endgültigen Beschluss erhalten. Orbans Regierungspartei Fidesz-MPSZ wurde in der Parlamentsabstimmung durch die Stimmen der rechtsextremen Parlamentspartei Jobbik unterstützt.
Das beschlossene Gesetz lautet euphemistisch auf „Gesetzesnovelle für ein strengeres Vorgehen gegen pädophile Straftäter und für den Kindesschutz“. In der leicht entschärften Endfassung sind verschärfte Strafbestimmungen sowie das Anlegen eines „Pädophilen-Registers“ zwar nicht mehr enthalten. Doch einige Zusatzbestimmungen schränkten schließlich die Informationsfreiheit für Jugendliche durch Zensur ein. So durften fortan zivilgesellschaftliche Organisationen keine Vertreter*innen mehr in Schulen schicken, um über alternative Sexualitäten und Geschlechtsidentitäten aufzuklären. Selbst Produktwerbung darf gleichgeschlechtliche Paare nicht mehr zeigen – schon gar nicht in fröhlicher, den Konsum anregender Stimmung.
Der Budapest Pride, die Regenbogenparade in Budapest, fand trotz des in Kraft getretenen Gesetzes mit einer Rekordbeteiligung von rund 30.000 Menschen statt. Außenminister Péter Szijjártó verkündete im Staatsradio:
“Hinter dem Angriff auf das ungarische Kindesschutzgesetz steht die Druckausübung eines großen internationalen Lobby-Netzwerks.”
Orban selbst meinte im Radio, die EU werde keine Rechtfertigung dafür finden, ein Strafverfahren gegen Ungarn einzuleiten. Das inkriminierte Gesetz diene lediglich dem „Schutz von Minderjährigen“ und der Freiheit der Eltern zu entscheiden, wie sie ihre Kinder in Sachen Sexualität erziehen wollen. Später kündigte Orbán ein Referendum darüber ab, ob „sexuelle Propaganda“ für Kinder erlaubt sein solle. Das Referendum fand tatsächlich bald statt, erreichte aber nicht die erforderliche Zahl abgegebener Stimmen, dass es nach ungarischen Recht gültig wäre. Die ungarische Bevölkerung spielt also nicht hinreichend mit. (vgl. derStandard.at, 18.6., 24.7., 25.7.2021, 15.7.2022).
„Ginge es nach der Mehrheit der Abgeordneten des EU-Parlaments, (…) müsste die EU-Kommission nach dem Inkrafttreten eines Gesetzes, das Informationen über Homo- und Transsexualität an Jugendliche in Ungarn seit Donnerstag unter Strafe stellt, sofort tätig werden.
Das Team von Präsidentin Ursula von der Leyen würde also nicht nur, wie ohnehin geplant, erst einmal mit einem Mahnbrief nach Budapest ein ‚normales‘ Vertragsverletzungsverfahren einleiten, weil das Gesetz ‚gegen EU-Recht verstößt und diskriminiert‘. Denn den meisten EU-Abgeordneten reicht das nicht. Die zuständigen Fachkommissare – allen voran die für Grundrechte verantwortliche Věra Jourová – sollten gleich ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit einleiten, das den Entzug von EU-Subventionen vorsieht.
Das ist zumindest die Intention einer Resolution, über die im Parlamentsplenum abgestimmt wurde – und die mit großer Mehrheit (…) angenommen wurde (derStandard.at, 8.7.2021).
Tatsächlich leitete die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn ein, welches beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) abgewickelt werde, weil Informationsrechte der Jugendlichen beschnitten würden.
Europarechtsexpert*innen des Europarats hielten in der Folge das inkriminierte ungarische Gesetz für unvereinbar mit den Menschenrechten (auf Privatheit, auf Bildung, auf Identität und Integrität, schaffe es doch ein „bedrohliches Klima“ und leiste dadurch Stigmatisierung und Mobbing Vorschub (derStandard.at, 14.7., 13.12.2021).
Wiederholt wurden in Ungarn Buchhändler*innen zu Geldstrafen (von 30 bis zu 32.000 Euro) verurteilt, weil sie homo- und transrelevante Schriften im Verkauf nicht hinreichend isoliert oder versteckt hatten. Hinzukommen erschwerend und unzureichendes Angebot einschlägiger Schriften im Handel und Unklarheit über die rechtliche Situation:
„Ungarn hat keine eigene Amazon-Seite, Bücher werden hauptsächlich in den zwei nationalen Ketten Líra und Libri gekauft, und das Geschäft boomt seit den Lockdowns freilich stark. Bücher, die dort nicht zu finden sind, werden kaum wahrgenommen. (…) Die Regeln der Regierung für Bücherläden sind diffus. Es ist nicht klar, ob homofreundliche Erwachsenenbücher auch foliert gehören, denn eigentlich gilt das Gesetz für Kinder.“
Ein Vertreter des ungarischen Buchhandels unterstreicht, dass das Gesetz einen anderen Zweck erfüllt, als es ihn vorgibt:
„Die Regierung stört sich nicht daran, dass Minderjährige im Internet so viele pornografische Inhalte finden können, wie sie wollen”, mahnt er. “Es geht gar nicht um die wirklichen Probleme. Obwohl die Zahl der jungen Menschen, die noch Bücher lesen, zurückgeht, wird jenen, die es noch tun, aufgrund der homofeindlichen politischen Kampagne Bücher verwehrt.“
Ein ungarischer Autor ergänzt:
„Zu befürchten ist, dass auch Menschen außerhalb der LGBTIQ-Community darunter leiden werden, weil ihnen ein Teil der Realität verwehrt wird.“
Schließlich folgert ein freier Budapester Journalist:
Das Problem ist aber, dass Homosexualität als etwas Schambehaftetes dargestellt wird. (…) In einer modernen Gesellschaft braucht es das Verständnis, dass solche Bücher nicht gefährlich sind und auch niemanden einfach so homosexuell machen. (…) Queerfeindlichkeit ist präsent, aber die Lage diffus. Offiziell hat niemand in Ungarn Verfolgung zu befürchten. Aber irgendwie auch nur, solange man in das Bild Orbáns passt. Und dieses ist eben auch in Büchern heterosexuell, verheiratet und weiß (alle vier Zitate: derStandard.at, 19.7.2023).
Doch die Mühlen der EU mahlen langsam. „Regierungschef Viktor Orbán hält trotz scharfer Kritik aus der EU weiter an dem Gesetz fest“ (derStandard.at, 24.3.2023).
Trotzdem trotz auch Budapest Pride. Die Regenbogenparade fand auch 2023 mit etwa 35.000 Teilnehmer*innen statt. Sogar der Budapester Bürgermeister, Gergely Karácsony, trat in seiner dortigen Ansprache für die Rechte queerer Menschen in Ungarn ein.
„Für ein paar Stunden wirkt das Land weltoffen und tolerant“, schrieb Melanie Raidl für Der Standard über der Parade vor Ort (19.7.2023).
Orbáns ideologischer, besonders homo- und transphober Einfluss macht sich selbst im Ausland bemerkbar, so auch in Wien:
„Mithilfe des Mathias-Corvinus-Collegiums (MCC) soll eine neue ‚patriotische Generation‘ entstehen, die Ungarns Interessen und Werte in die ganze Welt trägt. So steht es auf der Homepage der Denkfabrik mit Sitz in Budapest. Das MCC gilt als akademisches Propagandaorgan und Kaderschmiede des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und als Instrument zur Vernetzung rechter Kräfte in Europa (derStandard.at, 24.5.2023).
„Vor einem Jahr übernahm das Orbán-nahe Mathias-Corvinus-Collegium die Uni auf dem Wiener Kahlenberg. (…) Die Modul-Universität auf dem Wiener Kahlenberg zählt zu den bekanntesten Bildungseinrichtungen in Österreich. Und man gibt sich dezidiert weltoffen: Auf ihrer Website wirbt die Uni mit der Diversität ihrer Studierenden, mit Umweltschutz und sozialer Verantwortung als “Grundprinzipien” ihrer Einrichtung.
Doch anders als an vielen anderen österreichischen Universitäten weht vor der Modul-University im Pride-Month Juni keine Regenbogenfahne. Die Universitätsleitung hatte eine entsprechende Forderung von Mitarbeitenden explizit und schriftlich abgelehnt. Letztere vermuten dahinter den Einfluss des neuen Eigentümers der Universität – der dem ungarischen Premierminister Viktor Orbán nahesteht“ (derStandard.at, 19.4.2024).
Orbáns bisher schwerwiegendste Angriffe auf Menschenrechte
In der Zwischenzeit hatte die EU Finanzmittel in Milliardenhöhe, die Ungarn zugutekommen sollten, eingefroren. Und dennoch:
Im März 2025 wurde in Ungarn ein Gesetz erlassen, das Versammlungen verbietet, welche die Anliegen der LGBTIQ* Community unterstützen. Das Gesetz sieht die Verhängung von Geldstrafen (vermutlich zwischen 16 und 500 Euro) für Organisator*innen und Helfer*innen solcher Events vor (zunächst waren sogar Haftstrafen kolportiert worden, die sich aber nicht bewahrheiteten). Auch erlaubt das Gesetz der Polizei den Einsatz von Mitteln der Gesichtserkennungstechnologie (amnesty.be, 23.4.2025).
„Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán lässt die Budapester Pride verbieten. Einen diesbezüglichen Gesetzesentwurf haben die Abgeordneten der Regierungspartei Fidesz am Dienstag mit überwältigender Mehrheit von 136 zu 27 Stimmen im Parlament beschlossen.
Neben den Abgeordneten der rechtskonservativen Fidesz stimmten auch die rechtsnationale Jobbik-Partei und die rechtsextreme Partei ‚Mi Hazánk‘ (Unsere Heimat) für die Vorlage. Das Gesetz wurde im Eilverfahren verabschiedet. Die Fraktion der Oppositionspartei Momentum warf aus Protest Rauchkerzen in den Parlamentssaal. Medienberichten zufolge musste ein Fidesz-Abgeordneter wegen Rauchs notärztlich behandelt werden. (…)
Dem Regierungschef, dem fanatischen Kern seiner Anhänger und den von Orbán umgarnten Rechtsextremisten im Land ist die Pride ein Dorn im Auge. Seit Jahresbeginn drohte Orbán damit, sie einfach zu verbieten. Das neue Gesetz schränkt nun die verfassungs- und europarechtlich gewährleistete Versammlungsfreiheit dahingehend ein, dass öffentliche Kundgebungen, die das ‚Kindeswohl gefährden‘, künftig verboten seien.“
„‘Das ist kein Kinderschutz, sondern Faschismus‘, hielten die Organisatoren der Pride in einer ersten Reaktion fest (derStandard.at, 18.3.2025).
„Bei der von Momentum organisierten Kundgebung sprach Fraktionsvorsitzender Dávid Bedő von einem ‚faschistischen System‘ einer ‚faschistischen Staatspartei‘“ (derStandard.at, 19.3.2025).
EU-Kommission und Europarat sowie Amnesty International machten ihren Protest deutlich:
„‘Das Recht, sich friedlich zu versammeln, ist ein Grundrecht, das in der gesamten Europäischen Union verteidigt werden muss. Wir stehen an der Seite der LGBTIQ-Gemeinschaft – in Ungarn und in allen Mitgliedsstaaten‘, schrieb EU-Gleichstellungskommissarin Hadja Lahbib auf X. Aus EU-Töpfen für Ungarn gedachte Milliarden sind eingefroren, weil das Land der EU-Kommission zufolge verschiedene EU-Standards und Grundwerte missachtet, unter anderem auch LGBTIQ-Menschen betreffend. Ein Kommissionssprecher sagte am Dienstag zum Pride-Verbot: ‚Für uns ist es äußerst wichtig, jegliche Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen.‘
Michael O’Flaherty, Menschenrechtskommissar des Europarats, zeigte sich ‚sehr besorgt‘ über das neue Gesetz. Auch von Amnesty International kam Kritik. ‚Dieses Gesetz ist ein Frontalangriff auf die LGBTIQA+-Community und eine eklatante Verletzung der Verpflichtungen Ungarns, Diskriminierung zu verbieten sowie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu garantieren‘, sagte Dávid Vig von der (Amnesty; Anm.) Länderorganisation in Ungarn“ (derStandard.at, 19.3.2025).
Zuvor hatte sich bereits gegen die Gesetzesvorlage Protest erhoben. So verlautete der links-grüne Oberbürgermeister von Budapest, Gergely Karácsony:
„Es wird eine Pride in Budapest geben.“
In Österreich gab es aus Solidarität mit dem queeren Ungarn eine Demonstration, auf der deutliche Aussagen gemacht wurden (derStandard.at, 17.3.2025):
„‘Das Demonstrationsrecht ist eines der wichtigsten Instrumente einer Demokratie. Dass der LGBTIQ-Community in Ungarn das Recht genommen werden soll, für ihre Belange zu demonstrieren, ist untragbar und ein eindeutiger Angriff auf die Community, die Versammlungsfreiheit und die freie Meinungsäußerung‘, so Ann-Sophie Otte, Obfrau der HOSI. David Stögmüller, LGBTIQ+-Sprecher der Grünen, rief die EU-Kommission auf, ‚umgehend zu handeln und ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn einzuleiten, sobald das Gesetz beschlossen ist. Die EU muss hier dringend handeln‘.
SPÖ-Gleichbehandlungssprecher Mario Lindner betonte: ‚Wenn ein (EU-)Mitgliedsland die Grundfesten unseres Zusammenlebens, wie Vielfalt und Meinungsfreiheit, dermaßen mit Füßen tritt, dann kann dieser Staat nicht mehr als Demokratie bezeichnet werden!‘.“
Das Versammlungsverbot zur Verhinderung der Pride-Parade (die nächste soll am 28. Juni 2025 stattfinden) reichte Orbán offenbar noch nicht. Er schaffte per Verfassungsänderung die Diversität der Geschlechter ab und reduzierte sie auf die Dualität Mann-Frau – obwohl von wissenschaftlicher Seite aus multidisziplinärer Sicht feststeht, dass es eine Bandbreite an Geschlechtern gibt, was sowohl die sozialen Geschlechter als auch die biologischen Geschlechter anbetrifft (letzteres allein deshalb, weil es keine eindeutigen, absolut feststehenden biologischen Unterscheidungsmerkmale gibt).
„Das ungarische Parlament hat (…) die Verfassung geändert, um klarzustellen, dass es in dem EU-Mitgliedsstaat nur zwei Geschlechter gibt: Mann und Frau. Die 15. Verfassungsänderung, die mit 140 zu 21 Stimmen beschlossen wurde, schränkt auch das Versammlungsrecht ein und ermöglicht die Aussetzung der ungarischen Staatsbürgerschaft. (…)
Das Geburtsgeschlecht des Menschen sei eine biologische Gegebenheit, die entweder männlich oder weiblich sein könne. Es sei die Pflicht des Staates, den rechtlichen Schutz dieser natürlichen Ordnung zu garantieren. Ungarn schütze das Recht der Kinder auf die eigene Identität entsprechend ihrem Geburtsgeschlecht und sichere eine Erziehung gemäß Werten, die auf der verfassungsmäßigen Identität und der christlichen Kultur Ungarns beruhen. (…)
Nach einer Sonderklausel kann die Staatsbürgerschaft auch ausgesetzt werden, wenn die Person im Interesse einer ausländischen Macht oder ausländischen Organisation handelt. Dieser Vorwurf wird seitens der ungarischen Regierung regelmäßig gegen Medien und NGOs erhoben, die ihr gegenüber kritisch eingestellt sind. (…)
Mit der Verfassungsänderung wird der Staat zudem berechtigt, die jährliche Pride-Parade zu verbieten. Damit wird eine vor vier Wochen beschlossene Änderung des Versammlungsgesetzes verfassungsrechtlich abgesichert. Die Gesetzesänderung hatte die Parade praktisch bereits unmöglich gemacht.“ (derStandard.at, 14.4.2025).
Orbáns jüngster, verfassungsrechtlicher Schritt wird wegen der erforderlichen qualifizierten Stimmenmehrheit (von zwei Dritteln) nicht leicht wieder umkehren lassen (wie sich das ähnlich auch am aktuellen Beispiel Polens zeigt):
„Viktor Orbán sorgt vor: Sollte der rechtsnationale Premierminister Ungarns nach der für 2026 geplanten Parlamentswahl sein Amt verlieren, werden die von ihm eingeschlagenen ideologischen Pflöcke nur schwer zu beseitigen sein. Jüngstes Beispiel: die am Montag beschlossene Verfassungsänderung, die unter anderem sicherstellen soll, dass es nur zwei Geschlechter im Land gibt – männlich und weiblich.
Mit diesem Schritt setzten Orbán und seine Partei Fidesz ihren Feldzug gegen die LGBTIQ-Community im Land fort.
Die Debatten über die Verfassungsänderung in Ungarn fanden einmal mehr auch in Österreich ihren Niederschlag, wo sich traditionell die FPÖ als Fidesz-Partnerin präsentiert. Generalsekretär Christian Hafenecker begrüßte die Entscheidung Ungarns als ‚wichtiges Zeichen der Normalität und Absage an die links-woke Regenbogenideologie‘. Es handle sich um einen ‚Schritt, der auch Österreich guttun würde, aber von der linksgedrallten Verlierer-Ampel nicht zu erwarten ist‘.
Der Nationalratsabgeordneten Mario Lindner (SPÖ) und David Stögmüller (Grüne) hingegen haben am Dienstag öffentlich ihre Teilnahme an der verbotenen Budapest Pride angekündigt. Lindner kritisierte in einer Presseaussendung die ‚menschenrechtsfeindlichen Verfassungsänderungen auf dem Rücken von LGBTIQ+-Personen.‘ “ (derStandard.at, 15.4.2025).
Zum Ausblick:
Tatsächlich hat der jüngst kometenhaft aufgestiegene Star der Opposition, der 44-jährige Péter Magyar, mit seiner Partei Tisza Orbáns Fidesz bereits in mehreren Umfragen überholt. Von einer Verfassungsmehrheit, mit der sich die von Orbán eingeschlagenen Pflöcke dereinst wieder aus dem Boden ziehen lassen, können er und seine Anhänger aber freilich nur träumen“ (derStandard, 15.4.2025).
Und nun noch ein Blick zurück.
Wie es dazu kam und wozu es kam: Der Wandel der Fidesz-MPSZ unter Orban
Die Fidesz, als liberale Partei gegründet und von der Liberalen Internationale geschätzt, wandelte sich als Fidesz-MPSZ zunächst in eine stärker sozialistische Gruppierung um. Unter Orbans Führung hat sich die Fidesz-MPSZ schließlich zu einer rechtskonservativen, nationalistischen und illiberalen Partei entwickelt – mit einer politischen Rhetorik bereits in Richtung eines Autoritarismus (eines undemokratischen Regimes).
Inhaltlich werden politische Schwerpunkte auf die Positionen der römisch-katholische Kirche und der Reformierten Kirche in Ungarn sowie auf die traditionelle Familie (Vater, Mutter, Kinder) und den Blut-und-Boden-Patriotismus (gleichsam: Ungarn den geborenen Ungar*innen) mit einer strikten Anti-Geflüchteten-Politik (unter Missachtung der einschlägigen Dublin-Regel der EU betreffend Asylsuchende).
Schon 2014 hatte Viktor Orbán bekundet, ein illiberaler Staat, so wie er in Ungarn gebaut werde, sei die „Staatsform, die am besten fähig ist, eine Nation erfolgreich zu machen“, „alles tun dürfen, was die Freiheit des anderen nicht einschränkt,“ mache er „nicht zum zentralen Element der Staatsorganisation“, von „den in Westeuropa akzeptierten Dogmen und Ideologien“ müsse sich Ungarn „lossagen“.
Kritik seitens der EU, insbesondere an der Diskriminierungspolitik gegenüber der LGBT Community, wird vom offiziellen Ungarn als „Meinungsdiktatur“ Brüssels, als „falsche Vorwürfe und bewusste Fehlinterpretationen“ abgestempelt; die EU wolle Ungarn eine andere Kultur aufzwingen, die dem Willen des ungarischen Volks zuwiderlaufe (https://de.wikipedia.org/wiki/Viktor_Orbán).
Näheres dazu findet sich unten im Historischen Anhang.
Als eine Stimme von Human Rights Watch schreibt European Media and Editorial Director Andrew Stroehlein (Daily Brief, 25.3.2025):
„Orbán ändert die Verfassung des Landes nach Belieben und verhängt mehrere Notstandsgesetze, die es ihm ermöglichen, per Dekret zu regieren und sogar das Parlament zu umgehen, das inzwischen nur noch abnickt.
Die Regierungspartei tut alles, um Kritiker*innen zum Schweigen zu bringen, und greift unabhängige Journalist*innen, Medien und zivilgesellschaftliche Organisationen an.
Orbáns Partei hat die Kontrolle über die meisten Medien des Landes übernommen und nutzt sie, um regierungs- und parteitreue Lügen zu verbreiten.
Sie verunglimpfen auch ständig Angehörige von Minderheiten – darunter Migrant*innen, LGBT-Personen und andere. Sie geben große Summen an Steuergeldern für landesweite Medienkampagnen aus, die mit Angstmacherei und Desinformation gegen diese Gruppen arbeiten.
Sie tun dies sicherlich, um Hass zu schüren und Sündenböcke zu schaffen, um die Aufmerksamkeit der Menschen von ihrer antidemokratischen Machtübernahme und von der Tatsache abzulenken, dass Ungarn unter Fidesz das korrupteste Land der EU und auch das verarmteste ist. (…)
Orbán machte deutlich, dass die Absicht des Gesetzes darin besteht, Pride-Veranstaltungen zu verbieten.
Das Gesetz gegen die Pride-Veranstaltungen hat zu Recht heftige Kritik ausgelöst. Tausende haben sich auf den Straßen von Budapest versammelt, um dagegen zu protestieren. Trotz des Verbots planen die Organisatoren, die Pride-Veranstaltung Ende Juni durchzuführen, und der Oberbürgermeister von Budapest sagte, dass die Pride-Veranstaltung in der Stadt stattfinden wird.
Mit anderen Worten: Die Menschen verteidigen ihre Rechte gegen eine autoritär gesinnte Regierung. Gut so.“
Nicht nur in Österreich und Ungarn
Die Problematik betrifft freilich bei weitem nicht Ungarn und sogar Österreich allein (https://www.derstandard.at/story/3000000260609/abnormal-und-links-degeneriert-wie-die-fpoe-gegen-lgbtiq-wettert, 11.3.2025). Denken wir doch an die Bulgarien, Georgien, Polen (seit kurzem nicht mehr so extrem, aber noch problematisch), Russland, Serbien, Slowakei, USA, Vereinigtes Königreich, Weißrussland, … – ganz zu schweigen von den Ländern, in denen einvernehmliche Akte der Homosexualität verboten sind und strafrechtlich hart verfolgt werden (wenn nicht explizit wegen Homosexualität, sondern aufgrund moralischer Bestimmungen), bis hin zur Todesstrafe, oder, wo nicht einmal der Staat hinrichtet, sondern kapitale Hassverbrechen entweder durch kriminelle Banden oder durch Ehrenmorde innerhalb der Dorf- und Clangemeinschaft nur zu gern vom Staat geduldet werden.
Und nicht zu vergessen auf das schlecht bis nicht regulierte Internet, wo Halb- und Unwahrheiten verbreitet, Hass und Gewalt geschürt werden – alles im Zeichen einer falschverstandenen Meinungsfreiheit (siehe auch derstandard.at/story/3000000259986/fuer-meta-ist-antisemitismus-jetzt-teil-der-debatte, 5.3.2025).
„Die Musikerin und Influencerin Ebru Sokolova berichtet von zunehmendem Hass gegen LGBTIQ-Personen: ‚Der öffentliche Raum ist für mich nicht derselbe wie vor ein paar Jahren‘
‚Ihr seid krank!‘, ‚Die gehören weggesperrt‘, ‚Ich wünsche mir 1938 zurück‘ – das sind nur ein paar Auszüge aus dem Online-Alltag von Ebru Sokolova. Der Auslöser für derartige verbale Entgleisungen ist ihre sexuelle Orientierung. (…) Die Organisation GLAAD findet in ihrer jüngsten Analyse der großen Social-Media-Plattformen zahlreiche wiederkehrende diskreditierende Erzählungen über LGBTIQ-Menschen und Hinweise auf Zensur. Besonders häufig wird der Community ‚grooming‘ (gezielte Kontaktaufnahme Erwachsener mit Minderjährigen in Missbrauchsabsicht, Anm.) vorgeworfen, oder queere Personen generell als ‚geisteskrank‘ stigmatisiert. Gleichzeitig würde legitimer LGBTIQ-Content aussortiert: So werden beispielsweise Postings als ‚adult content‘ eingestuft, LGBTIQ-Accounts unrechtmäßig gesperrt oder Inhalte demonetarisiert (derStandard.at, 20.8.2024) .
Nicht zuletzt nehmen in den vergangenen Jahren nicht nur die Belästigungen im Allgemeinen, sondern auch die physischen Übergriffe zu – nicht nur in Ungarn und Österreich:
„In puncto Belästigungen liegt Österreich im unrühmlichen Spitzenfeld. 60 Prozent der teilnehmenden Österreicherinnen und Österreicher geben in der FRA-Studie an, in den letzten zwölf Monaten aufgrund ihrer sexuellen Orientierung belästigt worden zu sein – das liegt deutlich über dem EU-Schnitt von 54 Prozent. 2020 waren es übrigens noch 33 Prozent (EU 2020: 38 Prozent).
Auch die Daten des Hate-Crime-Berichts des BMI weisen denselben Trend auf. Im Jahr 2023 belegte die Kategorie ‚Sexuelle Orientierung‘ mit 446 Fällen Platz 4 der polizeilich erfassten Vorurteilsmotive – eine Steigerung von fast 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, ‚vor allem bei homophoben Motivlagen‘ (derStandard.at, 20.8.2024).
Der Bericht der Grundrechteagentur der EU zur Situation von LGBTIQ-Personen für 2023 zeigt die Situation in der EU und einzelnen Ländern auf, wie Helmut Graupner (Rechtsanwalt in Wien, Rechtskomitee Lambda) berichtet:
„38 Prozent fühlten sich im vergangenen Jahr zumindest einmal in einem Lebensbereich aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Geschlechtsidentität diskriminiert (37 Prozent in der Gesamt-EU), und 60 Prozent wurden im vergangenen Jahr belästigt (54 Prozent in der Gesamt-EU). Körperliche Gewalt aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Geschlechtsidentität mussten sechs Prozent im letzten Jahr (13 Prozent in der Gesamt-EU) und 15 Prozent in den letzten fünf Jahren erleiden (13 Prozent in der Gesamt-EU).
Damit nicht genug wenden sich nur acht Prozent der Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt an die Polizei und nur neun Prozent erhoben wegen ihrer Diskriminierung Beschwerde an eine Gleichbehandlungseinrichtung oder einer anderen Stelle oder Organisation. Deutlich weniger als in der Gesamt-EU, in der sich jeweils zumindest elf Prozent wehren. In Österreich unternehmen mehr als 90 Prozent der LGBTIQ-Personen, die Opfer von Gewalt oder Diskriminierung wurden, nichts dagegen“ (derStandard.at, 17.10. 2024).
Es dürfte nicht zuletzt der internationalen Einflussnahme durch US-Präsident Donald Trump und den ungarischen Premier Viktor Orbán sowie der Beinahe-Volkskanzlerschaft von Herbert Kickl (FPÖ) geschuldet sein, dass sich so etwas wie anscheinend vorauseilender Gehorsam zeigt – selbst im EU-Mitgliedsland Österreich und auch noch im Jahr 2025. Rechtsanwalt Helmut Graupner (Rechtskomitee Lambda) erklärt dazu aus juristischer Sicht (derStandard.at, 21.1.2025):
„Österreich ist Vertragspartei der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), die die Republik nicht nur völkerrechtlich bindet, sondern seit 1964 auch innerstaatlich Verfassungsrang genießt. Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) sind somit auch nach innerstaatlichem (Verfassungs)Recht verbindlich (Art. 46 EMRK). Diese, in Menschenrechtsfragen höchste und für alle europäische Staaten (mit Ausnahme von Russland, Belarus und dem Vatikan) zuständige Instanz, judiziert seit über drei Jahrzehnten, dass transidente Personen (deren gelebtes Geschlecht nicht mit ihrem biologischen, körperlichen Geschlecht übereinstimmt) das fundamentale Menschenrecht zukommt, zur Hintanhaltung von Bloßstellung und Zwangsouting Dokumente und Vornamen zu erhalten (…), die ihrem tatsächlich gelebten Geschlecht entsprechen sowie im tatsächlich gelebten Geschlecht umfassend rechtlich anerkannt zu werden (…).“
Nun aber macht der Verwaltungsgerichtshof eine Kehrtwendung und „spricht der Verwaltungsgerichtshof aus, dass es für die Eintragung des Geschlechts ‚grundsätzlich auf das biologische, körperliche Geschlecht ankommt‘ und er, ‚mangels ausdrücklicher Regelung (der Transsexualität) durch den Gesetzgeber‘ seine bisherige ‚ – auf die psychische Komponente des Geschlechtszugehörigkeitsempfindens abstellende – Judikatur‘ nicht mehr aufrechterhalte (VwGH 05.12.2024, Ro 2023/01/0008 Rz 50).
„Es wird nun am Verfassungsgerichtshof liegen, ein Machtwort zu sprechen, diese schwere Menschenrechtsverletzung zu beenden, Österreich wieder in die Gemeinschaft der menschenrechtskonformen Länder zurückzuführen und seine bahnbrechende Erkenntnis aus 2018 zu bestätigen. Bis dahin werden Transpersonen jedoch leider, wie vor Jahrzehnten, wieder Bloßstellung und Zwangsouting ausgesetzt sein.“
Quellen
amnesty.be
Der Standard (derStandard.at): diverse Ausgaben (siehe Text)
EU-Agentur für Grundrechte (https://fra.europa.eu/en/publication/2024/lgbtiq-equality-crossroads-progress-and-challenges) 2024
HOSI Linz (https://www.hosilinz.at/category/presseaussendungen/)
Human Rights Watch (Daily Brief, 25.3.2025)
PRIDE – Das queere* Österreichmagazin. Ein Projekt der HOSI Linz: 204 Feb. 2025, 205 April 2025
Sarotte, Mary Elise (2023): Nicht einen Schritt weiter nach Osten
Wikipedia – Die freie Enzyklopädie (de.wikipedia.org): Ungarn, Ungarische Geschichte, Viktor Orbán
Historischer Anhang
Nach Ende der KuK-Monarchie Österreich-Ungarn und eines kommunistischen Ständestaats herrschte von 1920 bis 1944 das Regime von Reichsverweser (dem faktischen Staatsoberhaupt) Miklós Horthy: ein konservatives, antisemitisches, vor allem autoritäres, d.h. demokratisch wesentlich eingeschränktes Regime, und zwar in der Überwindung und in der Nachfolge der kommunistischen Diktatur (das war die Räterepublik von Béla Kun).
Ab 1933 ideologisch-politische Annäherung an der NS-Staat Hitlers. 1944/45 führten die faschistischen Pfeilkreuzler (ähnlich zum deutschen Hakenkreuz und österreichischen Kruckenkreuz) unter Ferenc Szalási die Massendeportation der Juden in die Vernichtungslager der Nazis rigoros aus.
Nach dem Zweiten Weltkrieg existierte die Volksrepublik Ungarn als unterworfener Vasallenstaat des bolschewistischen Moskauer Kommunismus, zunächst unter dem blutrünstigen Diktator Josef Stalin, danach unter den ebenfalls nur scheindemokratisch herrschenden Präsidenten Nikita Chruschtschow und Leonid Breschnew.
Der Volksrepublik Ungarn kam im Sowjetkommunismus glücklicherweise eine Sonderstellung innerhalb des Ostblocks (wirtschaftlich: Comecon) zu, und zwar mit erleichterten Bedingungen für das Wirtschaften und mit sehr günstigen Auswirkungen auf den Wohlstand: „Gulasch-Kommunismus“ genannt, insbesondere nach dem misslungenen, von den Bruderländern blutig niedergeschlagenen Volksaufstand von 1956 gegen die Moskauer politische Bevormundung.
Dem Ungarn-Aufstand folgte eine erhebliche Fluchtwelle von Ungarn nach Österreich.
1988 erfolgte die Gründung der politischen Partei „Bündnis junger Demokraten“ (FIDESZ) durch Intellektuelle bis 35 Jahre, darunter Viktor Orbán. Die liberale FIDESZ trug zum Fall des kommunistischen Regimes bei, besonders auch durch die wirkungsstarke Rede Viktor Orbáns bei der Umbettung des nach dem Ungarnaufstand von 1956 unter Sowjeteinfluss 1958 hingerichteten Premierministers Imre Nagy in ein Ehrengrab.
1989 war an der österreichisch-ungarischen Grenze die erste „Lücke“ im Eisernen Vorhang entstanden; die Flucht von DDR-Bürger*innen über Ungarn in den politischen Westen war möglich geworden.
Ab 1989 war Ungarn der Vorreiter der Demokratisierung unter den Nachfolgestaaten nach dem Zerfall des kommunistischen Ostblocks und dem Ende des Kalten Kriegs. Ungarn wurde zur parlamentarischen Republik mit freien Wahlen (erstmals 1990) und dem Charakter einer liberalen Demokratie westlicher Prägung.
1991 gründet sich als loser interessenpolitischer Zusammenschluss gleichberechtigter Staaten die Visegrád-Gruppe (Polen, die CSSR – ab 1993 Tschechien und die Slowakei – sowie Ungarn). Zweck war die gemeinsame Lösung der Übergangsprobleme von einer Plan- zu einer Marktwirtschaft und zu einer Friedenswirtschaft nach dem Kalten Krieg. Allerdings bildeten die Visegrád-Staaten in der Folge mitunter auch eine gesellschaftspolitisch konservative, revisionistische, teils national-religiöse Wertegemeinschaft, nämlich unter dem Einfluss der herrschenden Parteien: die PIS der Kaczynski-Brüder in Polen ab 2001, die ANO 2011 von Andrej Babis ab 2011 in Tschechien, in der Slowakei ab 1999 die HZDS von Vladimír Meciar und ab 1999 die Smer-SD von Robert Fico sowie in Ungarn seit 1988 die Fidesz von Viktor Orbán). Die Regierungsparteien dieser EU-Mitglieder gerieten damit in Konflikt mit der liberalen Wertegemeinschaft der EU.
1992 wird FIDESZ sogar Mitglied der Liberalen Internationale, zeitweise sogar in prominenter Position (Vizevorsitz).
1996 wird Umbenennung in Ungarische Bürgerliche Partei vorgenommen (zunächst weiterhin Fidesz benannt), ab 2003 in Fidesz-MPSZ umbenannt: MPSZ steht für Magyar Szocialista Párt, um einen sozialistischen Anspruch auszudrücken. Doch unter Orbán wurde die Fidesz-MPSZ zunehmend zu einer konservativen Partei.
1998 wurde die Fides-MPSZ vier Jahre lang Seniorpartner einer Koalitionsregierung unter Viktor Orbán als Ministerpräsident, dann folgte der Gang in die Opposition. Orbán hatte schon in seiner ersten Regierungsperiode eine groß angelegte Auswechslung von Verwaltungsbeamt*innen nach politischem Kalkül vorgenommen (wie in den USA).
Das Streben Ungarns in die NATO ist mit der Angst vor der Russischen Föderation (Russland nach dem Zerfall des Ostblocks) zu begründen und mit der politisch-taktischen Unterstützung des ostwärts expandierenden Verteidigungsbündnisses des Westens – auf Betreiben von US-Präsident George Bush Senior von den Republikanern und dem deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl von der CDU (Sarotte 2023).
1999 wurde Ungarn gleichzeitig mit Polen und Tschechien Mitglied der NATO.
2004 erfolgte der EU-Beitritt Ungarns im Zug der EU-Osterweiterung (zusammen mit Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Zypern). Daraus ergab sich wegen der eher nationalistischen und populistischen Ausrichtung der Visegrád-Gruppe in der EU eine politische Spannung, genannt „innere Opposition“ gegen die EU. Diese Staaten agierten primär im nationalen Interesse mit stark populistischem, tendenziell antidemokratischem Einschlag, insbesondere betreffend die Geflüchteten-Politik der EU (Dublin-Regel) und die Gesellschaftspolitik (sexuelle und transidente Minderheiten); das stellte und stellt die Geschlossenheit der EU als Wertegemeinschaft zunehmend in Frage.
Die Ära der liberalen Demokratie währte in Ungarn nämlich nur bis 2010.
2010 erringt die Fidesz-MPSZ erstmals (dann 2022 wieder) die absolute Mehrheit im Parlament, und Orbán wird Ministerpräsident.
2014 geht die Fidesz-MPSZ unter Orbán als Premier eine Koalition mit der eher gemäßigten Christlich-Demokratischen Volkspartei (KDNP) ein und erhält dadurch die für Verfassungsänderungen nötige Zwei-Drittel-Mehrheit, die bis heute vorhält.
Orbán ist (trotz der sich zunehmend einigenden Opposition gegen seine Politik) seit dem Karriereende der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel der an Dienstjahren älteste Regierungschef in der EU; unter seiner Führung hat sich die Fidesz-MPSZ zu einer rechtskonservativen, nationalistischen und illiberalen Partei entwickelt – mit einer politischen Rhetorik bereits in Richtung eines Autoritarismus (undemokratischen Regimes).
Seit Anfang des Jahres 2012 ist eine neue Verfassung in Kraft, in der „als Prinzipien unter anderem der Bezug auf Gott, die ungarische Krone (Stephanskrone) sowie die Begriffe Vaterland, Christentum, Familie, Treue, Glaube, Liebe und Nationalstolz verankert sind“.
2014 erklärte Orbán ausdrücklich, ein illiberaler Staat, so wie er in Ungarn gebaut werde, sei die „Staatsform, die am besten fähig ist, eine Nation erfolgreich zu machen“, „alles tun dürfen, was die Freiheit des anderen nicht einschränkt,“ mache er „nicht zum zentralen Element der Staatsorganisation“, von „den in Westeuropa akzeptierten Dogmen und Ideologien“ müsse sich Ungarn „lossagen“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Viktor_Orbán).
Die offizielle Bezeichnung „Republik Ungarn“ wurde sogar in „Ungarn“ umgeändert, um den geminderten Stellenwert der Republik als Volksherrschaft auszudrücken, obwohl die Verfassung Ungarn inhaltlich noch als Republik ansieht.
Immerhin wurde zahlreiche Änderungen des Wahlrechts vorgenommen, welche die regierende Fidesz-MPSZ gegenüber Oppositionsparteien bevorteilen.
Zudem wurden die Medien in ihrer Freiheit eingeschränkt und die öffentlich-rechtlichen Medien inhaltlich so gut wie gleichgeschaltet.
2022 errang die Fidesz-MPSZ die absolute Mehrheit, behindert aber dennoch die Arbeit der Oppositionsparteien, um ihre Macht nach den kommenden Wahlen weiterhin zu behalten.
Anhang: Über Transidentität
Transidentität umfasst Transgenderismus (das soziale Geschlecht soll angepasst werden) und Transsexualität (das biologische Geschlecht soll angepasst werden). Hier folgen Zeitungsberichte über einschlägige Erfahrungen, wissenschaftliche Erkenntnisse und Dispute.
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Anhang: Menschenrechte in Gefahr – aus einer wissenschaftlichen Sicht